Das Becker Friedman Institute for Economics veröffentlichte zuletzt ein Working Paper mit dem Titel „A Theory of How Workers Keep Up With Inflation„, welches die Zusammenhänge und wechselwirkenden Dynamiken zwischen Inflation und dem Arbeitsmarkt anders als bisher angenommen darstellt. Bezug wird dabei auf die Schockinflation aus den Jahren 2021 bis 2023 genommen. Die von vier renommierten Ökonomen (Hassan Afrouzi, Andres Blanco, Andres Drenik, Erik Hurst) aufgestellte These besagt, dass die Inflation nicht das Ergebnis, sondern die Ursache für den scheinbar „heißen“ Arbeitsmarkt gewesen ist. Demnach sei in dem Zusammenhang das grundlegende Verständnis für die damalige Wirtschaftsdynamik fehlerhaft gewesen.
Wirkung von Inflation auf den Arbeitsmarkt
Die Dynamik zwischen offenen Stellen, Arbeitslosigkeit und Jobwechseln wird in der Ausarbeitung sehr logisch aufbereitet.
Grundsätzlich umschreibt ein „heißer“ Arbeitsmarkt die Situation, in der die Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot übersteigt, gekennzeichnet durch eine sehr niedrige Arbeitslosenquote und eine hohe Zahl offener Stellen. Durch die unternehmensseitige Suche nach qualifiziertem Personal, gekennzeichnet durch die hohe Zahl offener Stellen, verbessert sich die Verhandlungsposition qualifizierter Arbeitnehmer. Die höheren Löhne führen durch die Lohn-Preis-Spirale zu dem Anstieg von Inflation. So ist die „traditionelle“ Auffassung der wechselwirkenden Effekte.
Jedoch war die Beobachtung in den Jahren 2021-2023 eine Andere. Zwar blieb die Charakteristik steigender offener Stellen (Vacancy Rate) sowie eine nahezu unveränderten Arbeitslosenquote (etwa 3,7%) bestehen, jedoch differenzierte sich ein wesentlicher Punkt von der standardisierten „heißen“ Arbeitsmarktsituation- die Löhne. Wenn man davon ausgeht, dass die Inflation das Ergebnis von einem solchen Zustand am Arbeitsmarkt ist, würden die Löhne standardgemäß steigen.
Von April 2021 bis Mai 2023 stiegen jedoch die Jobwechselraten von 2,3% auf 2,42% pro Monat (CPS-Daten). Der Grund waren durch die Inflation sinkende Reallöhne, wodurch Arbeitnehmer nach besser bezahlten Jobs zum Einkommensverlustausgleich suchten. Eine erhöhte Wechselaktivität zeigte sich vor allem bei Beschäftigten niedriger Einkommensklassen, da diese durch eine höhere Auswahl an verschiedenen Jobs flexibler reagieren konnten.

Die Zahl der offenen Stellen stieg während der Inflationsperiode von durchschnittlich 4,25% (2016-2019) auf 6,65%, da Firmen aufgrund der vielen Verhandlungen bestehender Arbeitnehmer die Jobstellenausschreibungen erhöhten, um die wechselwillige Beschäftigung zu kompensieren.
Zu der hohen Jobwechselrate kam dann noch das Sinken der monatlichen Entlassungsquote (Layoff Rate), welche ein Rekordtief von 0,98% (Vor-Pandemie-Niveau: 1,22%) verzeichnete- eine zusätzliche Reduktion der Arbeitslosigkeit.

Insgesamt erzeugte also eine vorausgehende Inflation mit verbundenen sinkenden Reallöhnen eine wechselwillige Beschäftigtendynamik, welche zu einer Erhöhung von Stellenausschreibungen führte, ohne die Arbeitslosenquote maßgeblich zu verändern. Der Arbeitsmarkt erschien angespannt.
Ursachen der Inflation 2021 bis 2023
Tatsächlich lag die Inflation jedoch nicht an Lohnerhöhungen (die genaue Darlegung erfolgt im nächsten Abschnitt) und daraus steigenden Preisen, sondern an externen Schocks.
Einerseits führten die globalen Störungen der Lieferketten zu Erhöhungen vieler Güter und Dienstleistungen. Andererseits haben Kriege, wie der zwischen Russland und der Ukraine, zu erhöhten Produktionskosten sowie grundlegenden Kostenbelastungen für Verbraucher weltweit gesorgt.
Lockdowns und pandemiebedingte Maßnahmen reduzierten Produktionskapazitäten. Die großen Konjunkturpakete zur Schadensbegrenzung der pandemischen Ausmaße führten zu einem Nachfrageschub. Denn als die Beschränkungen gelockert wurden, überstieg die Nachfrage in vielen Fällen die runtergefahrenen Produktionskapazitäten, weshalb zusätzliche Preiserhöhungen durchgeführt wurden.
Folgen für Löhne und Arbeitnehmer
Eine Folge der externen Inflationseffekte war der sinkende, also inflationsbereinigte, Reallohn. Die Kaufkraft nahm seit 2021 dramatisch ab und lagen 4,4% niedriger als in Zeiten vor der Pandemie erwartet. Laut dem Bureau of Labor Statistics fiel das reale durchschnittliche Stundenlohneinkommen in dem Zeitraum von 2021-2023 25 Monate in Folge. Ab Mai 2023 sieht man zwar einen Wendepunkt, an welchem die nominalen Löhne, die Inflation übertreffen, jedoch noch lange nicht auf vorpandemischem Niveau zurück sind.

Ein weiteres Problem waren laut der vier Ökonomen die Verteilungen von den Reallohnverlusten. Auf der einen Seite verzeichneten Beschäftigte in höheren Einkommensklassen stärkere relative Reallohnverluste von teilweise 110% eines Monatslohns, zum Anderen waren Geringverdiener stärker von den inflationären Effekten getroffen, auch wenn sie flexibler bezüglich der Jobwechsel gewesen sind.
Die nominale Lohnrigidität
Die Inflationsperiode hat ein äußerst interessantes ökonomisches Modell verkörpert- die nominalen Lohnrigidität. Denn in den 1970er Jahren kam es zu Lohn-Preis-Spiralen, welche die primären Treiber des Geschehens waren. 2021 bis 2023 waren jedoch nominale Lohnrigiditäten sowie Anpassungsverzögerungen die Haupttreiber, wodurch die Reallöhne gesunken sind.
Wohingegen steigende Preise, also Inflation, vor allem bezüglich der Energiepreise direkt beim Verbraucher ankommen, blieben die nominalen Löhne gleich. Die Verzögerung bezüglich der Lohnanpassungen führten aber zu einem zeitverzögerten „Spread“ zwischen Löhnen und aktueller Inflation, sodass im Falle einer in Kraft tretenden Lohnerhöhung die Inflationsrate schon wieder angestiegen ist. Somit kommt es zu einer immer währenden Verschiebung zwischen beider Variablen. Durch das nach oben Verschieben der Beveridge-Kurve, erschien es, dass eine erhöhte Arbeitsnachfrage entsteht, obwohl der reale Grund in der Anpassung an die Inflationsfolgen liegt. Das kam den Arbeitgebern zugute.

Denn während Arbeitnehmer immer weiter enteignet wurden, stiegen die Gewinne zwischen 2021 und 2023 auf ein Rekordniveau im Verhältnis zum BIP. Die höheren Gewinne ermöglichten es den Unternehmen, neue Stellen auszuschreiben und Lohnerhöhungen für bestehende Mitarbeiter hinauszuzögern. Zu zunehmender Arbeitslosigkeit kam es nicht, da die Unternehmen weiterhin bestrebt waren, die Belegschaft auf einem stabilen Niveau zu halten, um keine Produktivitätsgefahren zu generieren.

Bedeutung für jetzige Marktentwicklung
Es ist von zentraler Bedeutung, zu wissen, dass der Arbeitsmarkt nicht zwangsläufig ein Vorreiter von Inflation sein muss, sondern ebenso durch Inflation erst an Dynamik gewinnen kann. Die unilaterale Betrachtung, dass Lohnsteigerungen zu Preiserhöhungen und zu einem inflationären Umfeld führen können, ist korrekt und weiterhin von fundamentaler Bedeutung. Nichts desto trotz kann Inflation auch als Grund für extreme Dynamik an dem Arbeitsmarkt fungieren, ohne dabei ein Signal von erhöhter Arbeitsnachfrage bei gleichbleibendem Angebot senden.
In Bezug auf die anstehenden Handelszölle wird diese Art von Dynamik an Bedeutung gewinnen. Denn nach der Corona-Pandemie haben wir wegen der ungewöhnlich hohen Jobwechselrate eine Verschiebung in der Besetzung von einzelnen Branchen gesehen. Als Beispiel ist der Einzelhandel anzuführen, welcher auf der einen Seite durch die Digitalisierung an Attraktivität verlor, auf der anderen Seite aber durch die der Corona-Pandemie geschuldeten schwierigen finanziellen Lage und dem darauffolgenden Inflationsschock massive Probleme bezüglich personeller Abgänge hatte. Die Arbeitsnehmer wurden inflationär enteignet und mittelständige Unternehmen konnten mit den geforderten Lohnerhöhungen nicht mithalten. Es kam zu einer internen Verschiebung im Arbeitsmarkt.
Am Beispiel von den USA ist festzumachen, dass die durch Gegenzölle sowie Einfuhrzölle steigenden Preise auf die Arbeitsmärkte wirken werden. Arbeitnehmer könnten ein sehr ähnliches Phänomen erleben wie erst zuletzt. Die wieder sinkenden Reallöhne, welche aus auffachenden Inflationsraten resultieren, besitzen das große Potential, wieder zu lohnanfordernden Strukturen zu führen. Dabei geht es nicht einmal um hyperinflationäre Zustände, sondern viel mehr um ein ohnehin schon stark belastetes Arbeitnehmerumfeld. Denn schon moderater Preissteigerungen werden zu vergleichsweise starkem Konsumverzicht führen, wenn die Löhne wieder nur verzögert mitziehen.
Deutschland
Noch viel präsenter dürfte das Thema in Deutschland sein. Denn wir haben immer noch mit der Energiekrise zu hapern und erwarten nicht einfacher werdende globale Handelsbeziehungen. Die ohnehin in Zukunft starken Belastungen auf den Arbeitsmarkt, wie das Problem mit den Baby-Boomern, welche in naher Zukunft in Rente gehen, den abwandernden Unternehmen oder den strukturellen niedrigen Arbeitszeiten, könnten mit zunehmender Inflation implodieren. Die generelle schwache wirtschaftliche und unternehmensseitige Lage- primär im Mittelstand- wird einer anfachenden Inflation und weiteren realen Enteignung des Arbeitnehmers nicht standhalten können.
In eigener Sache: Zur Analyse sowie Informationsbeschaffung nutzen wir die Software InvestingPro unseres Partners
investing.com. Mit dem Partnerlink https://www.investing-referral.com/aff90/ sparen Sie immer den maximalen Rabatt.
Wenn Sie nichts wichtiges rund um die Börse, Wirtschaft und Politik verpassen wollen, folgen Sie uns auf Home – EconomyGlobal.